Bad Segeberg kultourt

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Eine Gemeinschaftsaktion der Kulturschaffenden und Veranstalter Bad Segebergs
Koordiniert von Kulturkontor und SZ Segeberger Zeitung.

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Di 26. April 2022
LINSE Filmkunst:
Mein Sohn (2020)

Drama
Regie: Lena Stahl
mit: Jonas Dassler (Jason) · Anke Engelke (Marlene) · Hannah Herzsprung (Sarah) · Karsten Mielke (Sebastian) · Golo Euler (Hubi)
Deutschland 2020 | 94 Min. | ab 12

CinePlanet5, Oldesloer Straße 34

Ein junger Mann, der wegen seiner Künste auf dem Skateboard von Sponsoren umworben wird, erleidet bei einem Verkehrsunfall Verletzungen, deren Schwere er nicht wahrhaben will. Seine Mutter, zu der er ein schwieriges Verhältnis hat, setzt durch, dass sie ihn mit dem Auto zu einer Reha-Klinik in die Schweiz fahren kann. Der Weg dorthin steckt jedoch voller angespannter Situationen. Sensibles, in den Hauptrollen vielschichtig interpretiertes Mutter-Sohn-Drama in Form eines Road Movies, das die Annäherung der anfangs unvereinbaren Figuren beschreibt, aber mitunter arg zwischen Fremdscham und Eindrücklichkeit schwankt. Zudem fehlt es dem mäandernden Film vielfach an Konsequenz.

Langkritik:

Irgendwann kommt im Leben von Eltern die Zeit, ab der sie wieder ihr eigenes, von Kinder- und Heranwachsenden-Sorgen ungetrübtes Leben führen. Man kann das durchaus auch als eine Art Abnabelungsprozess verstehen. Auch wenn die ein oder andere Spur von Verlust in der Seel bleibt, oder die Erkenntnis, nicht alles gesagt und getan zu haben, als es noch Möglichkeiten dafür gegeben hätte.

Jason (Jonas Dassler) ist Mitte 20 und lebt in vollen Zügen am Establishment vorbei. Dass er einen Sponsor hat, der ihm seine Existenz finanziert, steht der Coolness nicht im Wege. Im Gegenteil! Es ist hipp, sich unter dem abgerockten Designer-Hoodies zu verstecken und hemmungslos dem Lifestyle der Skater-Community zu frönen, für die er ein Vorbild ist.

Hässliche Frakturen an Bein und Brust

Seine Mutter Marlene (Anke Engelke) hat mit Mitte 50 nun wieder die Kontrolle über ihr Leben zurück. Sie ist in ihrem Job als Fotografin erfolgreich und hat mit Sebastian (Karsten Antonio Mielke) einen unterstützenden Lebenspartner an ihrer Seite. Doch dann Jason plötzlich auf der Intensivstation. Mit hässlichen Frakturen an Bein und Brust, als Folge einer ausschweifenden Nacht und eines Autos, das er in seiner trunkenen Überheblichkeit auf dem Nachhauseweg nicht wahrnehmen wollte.

In den Stunden und Tagen am Bett von Jason wird Marlene klar, dass sie ihrem Sohn alle Freiheit gegeben hat, weil sie selbst frei sein wollte. Diese Wahrheit schmerzt fast noch mehr als die Gewissheit, dass Jason vor einer ungewissen Zukunft steht. In ihrem Kontrollwahn organisiert sie die bestmögliche aller Therapien in der Schweiz, noch bevor ihr Sohn wieder völlig bei Bewusstsein ist. Der fühlt sich verständlicherweise überrumpelt und erzürnt, als er von der mütterlichen Bevormundung erfährt. Dennoch willigt er in die Reise von Berlin Richtung Süden ein, als ihm sein Sponsor steckt, dass ein Bett in dieser Klinik für Normalsterbliche eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit ist.

Damit ist der Rahmen von „Mein Sohn“ abgesteckt; das Seelendrama als Road Movie kann beginnen. Da Jonas nicht fliegen darf und eine Zugfahrt offensichtlich nicht infrage kommt, soll es der alte Volvo tun, von dem man nicht so recht weiß, ob er Tour übersteht. Außerdem hat Marlene Zeit, weil ihre neue Ausstellung organisiert ist und sich im Zweifel Sebastian um alles kümmert. Außerdem gibt es noch Marlenes Freundin Sarah (Hannah Herzsprung), die jetzt auf dem Land wohnt und sich schon lange auf einen Besuch von Jason freut, für den sie einst der Babysitter war. Hinzu kommt die quälende Erkenntnis, dass Marlene eigentlich nichts über ihren Sohn weiß.

Protest gegen das Establishment…

In Road Movies ist der Weg das Ziel. Das so spannend die Exposition oft erscheint, so ernüchternd ist mitunter das, was aus daraus folgt. Ist es nur ein Zeichen des Protestes gegen das Establishment in Person seiner Mutter, dass Jason Burger und Fritten in sich hineinstopft, als habe er das erste Mal feste Nahrung vor sich? Oder ist es ein abgeschmacktes Klischee, mit dem die Regisseurin und Autorin Lena Stahl die Generationen voneinander trennt? Ist der fette, stinkende Tramper, den Jason ungefragt ins Auto holt, ein Mittel im Kampf der Weltbilder oder eine dramaturgisch notwendige, aber peinlich übertriebene Entlastung? Ist die Kommune, in der Sarah inzwischen lebt, ein hellsichtiger Gegenentwurf zum Schubladenleben ihrer Kontrollfreak-Freundin oder ein ebenso lächerliches wie tendenziöses Abziehbild, in der getrockneter Mutterkuchen als Toping fürs Selbstgebackene eine ernsthafte Auseinandersetzung von vornherein konterkariert?

„Mein Sohn“ ist voller Szenen, die zwischen Fremdscham und Eindrücklichkeit pendeln, ohne dass deutlich würde, was Buch und Regie damit bezwecken. Ehrlich und wahrhaftig ist nur das Spiel von Anke Engelke, deren Mutterfigur weit mehr im Zentrum steht als der vom Filmtitel präferierte Sohn. Die zu Unrecht als Comedian abgestempelte Schauspielerin hat den Mut, ihre Figur offensiv zwischen Spießigkeit und Coolness pendeln zu lassen.

In der an Mutterfiguren reichen deutschen Filmlandschaft ist ihre Marlene rar und bemerkenswert. Sie ist die differenzierteste Figur in „Mein Sohn“, weil sie voller Selbstverständnis zwischen den Polen mäandert, so als sei eine coole Spießerin kein Widerspruch.

… oder Elefant im Porzellanladen?

Alle anderen Charaktere sind schablonenhafter oder unausgereifter angelegt. Karsten Antonio Mielke und Hannah Herzsprung erhalten nicht genügend Zeit, um ihre Figuren in irgendeiner Form begründen zu können, und selbst der physisch eindrucksvoll agierende Jonas Dassler muss angesichts einer faden, indifferenten Ausarbeitung seines Tuns schon bald die Segel streichen.

Symptomatisch dafür sind die beiden finalen Einstellungen, die der Film für seine Hauptdarsteller vorsieht. Während der Film die Protagonisten physisch dort ankommen lässt, wo sie hinwollen, ist seelisch nichts geklärt. Das macht im Fall von Marlene fast schon wieder Sinn, weil man Anke Engelke glaubt, dass ihre Figur darin perfekt ist, sich selbst etwas vorzumachen.

Dass in ihrem Umfeld nach dieser Reise alles in Scherben liegt, scheint den Film indes eigentümlich ungerührt zu lassen. Ist „Mein Sohn“ damit ein unerhörtes Statement für selbstbestimmtes Leben? Oder doch eher nur ein Elefant im Porzellanladen? Man weiß es nicht. Was dem Film vor allem fehlt, ist der Mut, Stellung zu beziehen.

Jörg Gerle, FILMDIENST

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